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Apr

Was mich mutig macht – Gesine Schwan schöpft Mut aus ihrem Glauben

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Was lässt Menschen mutig werden? In meiner Blog-Serie “Was mich mutig macht” gehe ich dieser Frage nach, in dem ich ganz unterschiedliche Menschen zu ihren persönlichen Mut-Ressourcen befrage. Dieses Mal konnte ich die SPD-Politikerin Professorin Gesine Schwan für ein Interview gewinnen.

P.S.: Hast Du auch etwas Besonderes, Wichtiges oder Inspirierendes zum Thema Mut zu sagen? Dann lade ich Dich ein, meinen Fragebogen zum Thema Mut zu beantworten. Deine Antworten und die anderer mutiger Menschen erscheinen dann nach und nach hier auf meinem Blog. Machst Du mit? Dann geht es hier weiter: Zum Mutfragebogen.

 

Was ist Mut für Dich?

Die Energie, für ein gutes Ziel zu handeln; mit der Bereitschaft, Risiken einzugehen.

 

Welches ist deine früheste Erinnerung an Deinen Mut?

Da war ich circa sieben oder acht Jahre alt, und das war vielleicht das erste Mal in meinem Leben, dass mir klar wurde, dass ich mich bewusst für „Mut“ entscheiden kann. Mein Bruder hatte einen Unfall mit dem Fahrrad, wir erhielten zu Hause einen Anruf und es blieb sehr unklar, wie schlecht es um meinen Bruder stand und ob er überleben würde.

Meine Eltern sind sofort zum Krankenhaus gefahren, ich blieb zu Hause. Ich erinnere mich sehr genau an diesen Moment, in dem ich dachte „jetzt muss ich Mut haben“ – in meiner Sorge um meinen Bruder, und in dem Verständnis, dass meine Eltern jetzt für meinen Bruder da sein mussten.

 

Was war das Mutigste, dass Du je gemacht hast?

Ich habe vielfach Sachen gemacht, die andere Menschen mutig finden – und ich gar nicht. Wirklich großen Mut brauchte ich, als mein erster Mann an Krebs erkrankte – dem er auch nach schwerem Leiden erlag. Ich erinnere mich an den Gang zum Arzt, um die Diagnose zu erhalten, da habe ich viel Mut aufbringen müssen. Disziplin des Kopfes, Haltung bewahren, beides wichtig für mich. Beunruhigende und verstörende Gefühle eindämmen, um Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Mein Ziel war es, meinem Mann helfen und für meine Kinder da sein zu können.

Dagegen empfand ich zum Beispiel meine Redebeiträge auf den Uni-Vollversammlungen in den 68ern weniger als mutig – auch wenn das viele Menschen damals extrem mutig fanden. Mir schien das nicht so schwer, und ich hatte ein Anliegen – etwas Vernunft in die Debatte zu bringen. Sicherlich hatte ich durch das Handeln meiner Eltern im Nationalsozialismus einen besonderen Maßstab für Mut: die hatten ein jüdisches Mädchen versteckt und dabei alles riskiert. Im Vergleich dazu fühlt sich 1968 sehr, sehr viel wie Pipifax an.

 

Was gibt dir Kraft, immer wieder neuen Mut zu schöpfen?

Da gibt es den „innerweltlichen“ und den „transzendenten“ Aspekt. Innerweltlich die ständige Erfahrung: „es hat schon oft geklappt“. Immer wieder habe ich diese Erfahrung gemacht: Wenn ich mich zusammennehme und mutig bin, wird es schon gelingen. Eine Grundvertrauenshaltung durch meine Eltern, insbesondere meine Mutter war sehr mutig, und dieser Mut hat auch mich oft getragen.

Bei der Transzendenz geht es um meinen christlichen Glauben. Der erlaubt mir, halbwegs ruhig zu bleiben in Krisen, auch in der Wahrnehmung, dass mir immer weniger Lebenszeit bleibt. Das ist ein Geschenk – ich meine, sich gehalten zu fühlen. Dadurch entsteht in mir immer wieder der Mut, zu gestalten und Dinge auszuhalten. Glauben heißt „vertrauen auf“. Auch in der einen großen Scheiternserfahrug meines Lebens – bei der sehr schwierigen Leidensgeschichte meines Mannes – hat mir der Glaube geholfen.

 

Welches Gute in deinem Leben hast Du deinem Mut zu verdanken?

Insgesamt hat mein im Glauben aufgehobener Mut mir zu dem Leben verholfen, das ich lebe. Er gibt mir klare orientierende Werte. Nicht zu kneifen, nicht in Ängstlichkeit unterwegs zu sein. Ich habe ein schönes Leben. Dazu hilft der Mut, Dingen ins Auge zu sehen, mir nichts schön zu reden. Dann kann ich meinen Weg finden, geleitet durch meine Werte gehe ich in das Handeln. Das ist auch Selbstschutz: so bleibe ich bei mir und mir selbst treu. Ich denke, wenn ich das aufgeben würde, verlöre ich mich ganz schnell.

 

Wer ist die mutigste Person in Deinem Leben?

Der Mut meiner Mutter als Habitus war sehr stützend. Mein Vater war auch sehr prägend, aber nicht so mutig. Der Mut meines verstorbenen Mannes, auch bei starken Attacken in den 68er Jahren, für seine Einstellung zu stehen, hat mich sehr beeindruckt. Meinen jetzigen Mann, Gründer der Nichtregierungsorganisation „Transparency International“, finde ich auch immer wieder sehr mutig, wenn er mit mächtigen Menschen in die argumentative Konfrontation geht.

 

Wem wünschst Du mehr Mut?

Den politischen Entscheidern: die Dinge auszusprechen, die auch unangenehm sind. Die Herausforderungen benennen. Zum Beispiel, dass die ökologischen Anforderungen und die soziale Frage müssen zusammen gelöst werden müssen. Mehr Mut für Zukunftsentwürfe, nicht nur im Rahmen von der Machbarkeit zu denken, sondern wertorientiert und doch praktisch die großen Fragen anzugehen.

 

Hat schon einmal jemand anderes für dich Mut bewiesen? Wie hat sich das angefühlt?

Das ist eher eine laufende Erfahrung: Ich habe immer Menschen gefunden, die mich gestärkt und unterstützt haben. Das fing mit meiner mutigen Mutter an und glücklicherweise haben mich immer Mut machende Menschen umgeben und begleitet

 

Du als Mut-Macher – was passiert da?

Bei vielen meiner Auftritte und Reden sprechen mich danach Menschen an und sagen „Sie haben mir richtig Mut gemacht!“. Ich weiß gar nicht genau, wie das passiert. Vielleicht, weil ich schonungslos analysiere, die Lage darstelle und dann doch auch Lösungsansätze zu bieten suche. Ich denke und rede sehr handlungsorientiert.

Ich versuche, die Sachen konkret anzugehen. Und vielleicht hilft mein Humor, der nimmt den Schwierigkeiten das Drama. Und ich nehme mich selber nicht so schrecklich wichtig, eine der Lehren meines Vaters. Das ist vielleicht die Mischung, mit der ich den Menschen Mut mache.

 

Über Professorin Gesine Schwan

Eine engagierte Weltbürgerin, Akademikerin, Friedenspolitikerin, Sozialdemokratin, deren Leben ein Buch und nicht ein paar Zeilen benötigt. Dennoch der Versuch einer kurzen Orientierung: 1943 in Berlin geboren, 1969 Heirat mit Alexander Schwan, zwei Kinder. 1989 erlag der Ehemann einem schweren Krebsleiden. 2004 Heirat mit Peter Eigen.

Professorin der Politikwissenschaften 1999 bis 2008 Präsidentin der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt/Oder). Kandidaturen für das Amt der Bundespräsidentin 2004 und 2008/2009. Vorsitzende der SPD Grundwerte-Kommission.

Intensives Engagement in der deutsch-polnischen Versöhnung und für deutsch-französische Verständigung, Europa-, Immigrations- und Flüchtlingspolitik und Fragen der Demokratie, Gerechtigkeit und internationalen Zusammenarbeit.